Miklós Radnóti
Heute Vormittag steckten zwei schmale Päckchen im Briefkasten. Beide enthielten Bücher, auf die ich schon ein Weile gewartet hatte. Über ein Bücherantiquariat hatte ich mir „Ausgewählte Gedichte“ bestellt. Vom ungarischen Lyriker Radnóti Miklós.
Ich werde vom Klappentext des Buches „Gewaltmarsch“ von Radnóti Miklós, Corvina Verlag Budapest 1979 zitieren:
„Eine Würdigung dieses bedeutenden ungarischen Lyrikers der Moderne ( 1909 – 1944 ) kann man nicht anders beginnen als mit der Heraushebung der größten Tat, der höchsten Leistung, die er vollbrachte und worin ihm kein anderer Dichter an die Seite gestellt werden kann. Als rassisch Verfolgter wurde er in den kritischen Jahren zum Arbeitsdienst herangezogen, verbrachte Monate, Jahre in Zwangsarbeitslagern, zuletzt in Serbien, und als dieses Lager vor den heranziehenden Sowjettruppen geräumt werden musste, endete der bis zur Marschunfähigkeit erschöpfte Radnóti, wie so viele andere, durch Genickschuss. An sich kein ungewöhnliches Schicksal in jenen Jahren. Nun ist aber Radnóti bis zum letzten Augenblick, angesichts des jeder Menschenwürde beraubten sicheren Todes Dichter geblieben.
Die im Lager von Bor säuberlich in sein Notizbuch eingetragenen Gedichte sind dem Inhalt und der Form nach erlesene Meisterwerke und zeigen den Dichter auf der höchsten Höhe seiner Schaffenskraft. Diese Gedichte sind mit dem toten Dichter – bereits in ungarischem Gebiet – im Massengrab verscharrt und mit ihm exhumiert worden.
Eine solche moralische Kraft und Werktreue kann man nicht hoch genug schätzen, und dennoch darf man sie nicht überschätzen. Sonst könne der Eindruck erweckt werden, die Größe Radnótis liege einzig in seiner Standhaftigkeit, und zu feiern wäre ein exzeptioneller Charakter, auf dessen dichterische Qualität es nicht mehr so sehr ankommt. Das wäre ein Trugschluss. Radnóti erregte schon als Zwanzigjähriger mit dem originellen Stil und kraftvollen Ton seiner Lyrik Aufsehen. In den etwa fünfzehn Jahren, die ihm zu seinem lyrischen Werk zur Verfügung standen, stieg er von Band zu Band – sie erschienen in rascher Folge – immer höher.
Von Anfang an nahm er einen fortschrittlichen Standpunkt der Auflehnung gegen die bestehende Gesellschaft und deren Scheinmoral ein; er tat dies teils mit expressionistischer Zügellosigkeit, teils mit Abkehr vom Alltag und Flucht in ein Arkadien seiner Phantasie. Bald streifte der für das Zeitgeschehen aufgeschlossene Dichter aller Übertreibungen ab; er erkannte die faschistische Gefahr früher als andere, sagte ihr den Kampf an, führte ihn aber mit den erlesensten Mitteln des dichterischen Wortes, mit Eklogen in klassischer Form, und selbst die von der Erkenntnis des unentrinnbaren Dichterschicksals erfüllten Gedichte schrieb er in formvollendeten Hexametern sowie die Liebesbekenntnisse an seine Frau bis zuletzt auch.
Wiederholt sei nur eben, dass der an sich schon bedeutende Dichter mit seinen letzten Gedichten auf dem „Gewaltmarsch“ zum Massengrab sich selbst übertraf. Die Gedichte, die er hinterließ, sind hellleuchtend, und so ist auch des Dichters moralische Größe.“
Grüß die Sonne!
Jetzt küss ich dir schon die Hand, mit solchem
Bauerngram ist's so schön, in der Sonne
zu stehen, auf begeisterten Feldern
klirrt aufgeschossen Halm an Halm der Weizen!
Schau! Wo wir lagen, liegt der Halm gestürzt,
auf strenger Flur ein Liebeswappen, -
wie beugt sich das Land! vor dir verbeugt sich tief,
im Straßenstaub rutschend, der ferne Kirchturm!
Nachmittag kommt dösen: grüß ihn still!
auf deiner Fingerspitze erblüht ein Kuss,
und in deinem Handinnern wird der Schatten!
Grüß ihn du nur!mit gespreizten Händen
grüß die Sonne, wir stehen jetzt
ja noch ihr zugewandt da, und auf
glitzernden Feldern, begeisterten Feldern
klirrt aufgeschossen Halm an Halm der Weizen!
Miklós Radnóti
8. Oktober 1929
jbs
Ton
Radnóti Miklós - Bájoló
https://www.youtube.com/watch?v=BL8jwnZeKvo
Ich werde vom Klappentext des Buches „Gewaltmarsch“ von Radnóti Miklós, Corvina Verlag Budapest 1979 zitieren:
„Eine Würdigung dieses bedeutenden ungarischen Lyrikers der Moderne ( 1909 – 1944 ) kann man nicht anders beginnen als mit der Heraushebung der größten Tat, der höchsten Leistung, die er vollbrachte und worin ihm kein anderer Dichter an die Seite gestellt werden kann. Als rassisch Verfolgter wurde er in den kritischen Jahren zum Arbeitsdienst herangezogen, verbrachte Monate, Jahre in Zwangsarbeitslagern, zuletzt in Serbien, und als dieses Lager vor den heranziehenden Sowjettruppen geräumt werden musste, endete der bis zur Marschunfähigkeit erschöpfte Radnóti, wie so viele andere, durch Genickschuss. An sich kein ungewöhnliches Schicksal in jenen Jahren. Nun ist aber Radnóti bis zum letzten Augenblick, angesichts des jeder Menschenwürde beraubten sicheren Todes Dichter geblieben.
Die im Lager von Bor säuberlich in sein Notizbuch eingetragenen Gedichte sind dem Inhalt und der Form nach erlesene Meisterwerke und zeigen den Dichter auf der höchsten Höhe seiner Schaffenskraft. Diese Gedichte sind mit dem toten Dichter – bereits in ungarischem Gebiet – im Massengrab verscharrt und mit ihm exhumiert worden.
Eine solche moralische Kraft und Werktreue kann man nicht hoch genug schätzen, und dennoch darf man sie nicht überschätzen. Sonst könne der Eindruck erweckt werden, die Größe Radnótis liege einzig in seiner Standhaftigkeit, und zu feiern wäre ein exzeptioneller Charakter, auf dessen dichterische Qualität es nicht mehr so sehr ankommt. Das wäre ein Trugschluss. Radnóti erregte schon als Zwanzigjähriger mit dem originellen Stil und kraftvollen Ton seiner Lyrik Aufsehen. In den etwa fünfzehn Jahren, die ihm zu seinem lyrischen Werk zur Verfügung standen, stieg er von Band zu Band – sie erschienen in rascher Folge – immer höher.
Von Anfang an nahm er einen fortschrittlichen Standpunkt der Auflehnung gegen die bestehende Gesellschaft und deren Scheinmoral ein; er tat dies teils mit expressionistischer Zügellosigkeit, teils mit Abkehr vom Alltag und Flucht in ein Arkadien seiner Phantasie. Bald streifte der für das Zeitgeschehen aufgeschlossene Dichter aller Übertreibungen ab; er erkannte die faschistische Gefahr früher als andere, sagte ihr den Kampf an, führte ihn aber mit den erlesensten Mitteln des dichterischen Wortes, mit Eklogen in klassischer Form, und selbst die von der Erkenntnis des unentrinnbaren Dichterschicksals erfüllten Gedichte schrieb er in formvollendeten Hexametern sowie die Liebesbekenntnisse an seine Frau bis zuletzt auch.
Wiederholt sei nur eben, dass der an sich schon bedeutende Dichter mit seinen letzten Gedichten auf dem „Gewaltmarsch“ zum Massengrab sich selbst übertraf. Die Gedichte, die er hinterließ, sind hellleuchtend, und so ist auch des Dichters moralische Größe.“
Grüß die Sonne!
Jetzt küss ich dir schon die Hand, mit solchem
Bauerngram ist's so schön, in der Sonne
zu stehen, auf begeisterten Feldern
klirrt aufgeschossen Halm an Halm der Weizen!
Schau! Wo wir lagen, liegt der Halm gestürzt,
auf strenger Flur ein Liebeswappen, -
wie beugt sich das Land! vor dir verbeugt sich tief,
im Straßenstaub rutschend, der ferne Kirchturm!
Nachmittag kommt dösen: grüß ihn still!
auf deiner Fingerspitze erblüht ein Kuss,
und in deinem Handinnern wird der Schatten!
Grüß ihn du nur!mit gespreizten Händen
grüß die Sonne, wir stehen jetzt
ja noch ihr zugewandt da, und auf
glitzernden Feldern, begeisterten Feldern
klirrt aufgeschossen Halm an Halm der Weizen!
Miklós Radnóti
8. Oktober 1929
jbs
Ton
Radnóti Miklós - Bájoló
https://www.youtube.com/watch?v=BL8jwnZeKvo
lou-salome - 17. Mär, 19:16