Ich nannte ihn Krawatte
Milena Michiko Flašar
"Wer in einem Lachen nichts anderes als ein Lachen hört, der ist taub."
Eine weitere, zu beachtende junge Schriftstellerin ist in meinen Augen Milena Michiko Flašar.
Sie wurde 1980 in St. Pölten, Österreich, geboren und ist die Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters.
Ihr Buch " Ich nannte ihn Krawatte", 2012 im Wagenbachverlag erschienen, lohnt sich sehr zu lesen.
Hikikomori und Salaryman
Der Inhalt des Buches beschreibt eine immer intensiver werdende Begegnung-Beziehung zweier Männer. Der Jüngere der beiden Japaner, der zwanzigjährige Taguchi Hiro, will sich anfangs auf gar keine Begegnung einlassen. Er gehört zu den vielen tausenden Personen in Japan, die als Hikikomori bezeichnet werden. Es sind Menschen, die sich freiwillig in ihrer Wohnung oder ihrem Zimmer einschließen und den Kontakt zur Gesellschaft auf ein Minimum reduzieren.
" ... Nach wie vor ging es mir darum, für mich zu sein. Ich wollte niemandem begegnen. Jemanden zu begegnen bedeutet, sich zu verwickeln. Es wird ein unsichtbarer Faden geknüpft. Von Mensch zu Mensch. Lauter Fäden. Kreuz und quer. Jemandem zu begegnen bedeutet, Teil seines Gewerbes zu werden, und dies galt es zu vermeiden."
Taguchi Hiro verstrickt sich in diesen Gedanken, der Tod einer Schulkameradin wirft ihn aus der Bahn. Sie wurde so sehr in der Schule gemobbt, dass sie den Freitod wählte. Und obwohl Taguchi sie mochte, half er ihr nicht. Nach dem Freitod des Mädchens zog Taguchi sich immer mehr zurück. Er bricht den Kontakt zu seinen Eltern ab, er wird ein Hikikomori. Und dann kommt doch irgendwann ein Tag, der den Wendepunkt in seinem Leben einläuten wird.
Er verlässt das Haus.
Drückt sich auf Straßen herum, findet in einem Park eine Bank, auf der er den ganzen Tag sitzt, tagelang, wochenlang, nur mit kurzen Unterbrechungen, um im Elternhaus zu schlafen und zu essen.
Und plötzlich ist er nicht mehr allein auf seiner Parkbank. Ein etwas älterer Herr, ein Salaryman, so bezeichnet man in Japan männliche Firmenangestellte, der tagein tagaus in gleichbleibender Ruhe seine Zeitung liest, sein Bentō auspackt und isst und sogar auf der Bank schläft, wird sein täglicher Begleiter.
Die Lüge
Der Salaryman erzählt von seiner Ehe, seiner liebevollen Frau, seinem behinderten Kind, das er nie angenommen hatte und das früh starb. Von der Isolation, in die sich das Ehepaar zurückzog, um den Schmerz auszuhalten. Und davon, dass er seinen Arbeitsplatz verloren habe und seiner Frau nichts davon erzählt hätte.
Was ich sagen möchte. Die Lüge hat ihren Preis. Einmal gelogen, findet man sich in einem anderen Raum. Man lebt unter einem Dach, hält sich in denselben Zimmern auf, schläft im selben Bett, wälzt sich unter einer Decke. Die Lüge aber frisst sich mitten hindurch. Sie ist ein Graben. Unüberbrückbar. Sie macht, dass ein Haus in zwei Teile zerfällt. Und wer weiß, ob es sich mit der Wahrheit nicht ebenso verhält?
Kleines Fazit für großartigen Text
Zwei Aussenseiter finden sich im Roman. Erzählen sich ihre Lebensgeschichte, die für den Einen ein endgültiger Abschied wird, für den Anderen ein Anfang.
Einmal mit dem Buch begonnen, dem wird es schwer fallen, es zwischendurch abzulegen, um Alltägliches zu erledigen. Am Besten ist es, sich für die 136 Seiten einen Zeitpunkt auszusuchen, der es einem ermöglicht, diese poetische Sozialstudie in einem Rutsch durchzulesen.
jbs 2ooozwölf
Lesung Milena Michiko Flasar "Ich nannte ihn Krawatte"
(Wagenbach Verlag), Literaturhaus Salzburg, Mai 2012
Veranstalter: Verein Literaturhaus
https://www.youtube.com/watch?v=wGqj3Ucs4mc
Die kursiv gehaltenen Textstellen sind Zitate aus dem obigen Buch.
"Wer in einem Lachen nichts anderes als ein Lachen hört, der ist taub."
Eine weitere, zu beachtende junge Schriftstellerin ist in meinen Augen Milena Michiko Flašar.
Sie wurde 1980 in St. Pölten, Österreich, geboren und ist die Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters.
Ihr Buch " Ich nannte ihn Krawatte", 2012 im Wagenbachverlag erschienen, lohnt sich sehr zu lesen.
Hikikomori und Salaryman
Der Inhalt des Buches beschreibt eine immer intensiver werdende Begegnung-Beziehung zweier Männer. Der Jüngere der beiden Japaner, der zwanzigjährige Taguchi Hiro, will sich anfangs auf gar keine Begegnung einlassen. Er gehört zu den vielen tausenden Personen in Japan, die als Hikikomori bezeichnet werden. Es sind Menschen, die sich freiwillig in ihrer Wohnung oder ihrem Zimmer einschließen und den Kontakt zur Gesellschaft auf ein Minimum reduzieren.
" ... Nach wie vor ging es mir darum, für mich zu sein. Ich wollte niemandem begegnen. Jemanden zu begegnen bedeutet, sich zu verwickeln. Es wird ein unsichtbarer Faden geknüpft. Von Mensch zu Mensch. Lauter Fäden. Kreuz und quer. Jemandem zu begegnen bedeutet, Teil seines Gewerbes zu werden, und dies galt es zu vermeiden."
Taguchi Hiro verstrickt sich in diesen Gedanken, der Tod einer Schulkameradin wirft ihn aus der Bahn. Sie wurde so sehr in der Schule gemobbt, dass sie den Freitod wählte. Und obwohl Taguchi sie mochte, half er ihr nicht. Nach dem Freitod des Mädchens zog Taguchi sich immer mehr zurück. Er bricht den Kontakt zu seinen Eltern ab, er wird ein Hikikomori. Und dann kommt doch irgendwann ein Tag, der den Wendepunkt in seinem Leben einläuten wird.
Er verlässt das Haus.
Drückt sich auf Straßen herum, findet in einem Park eine Bank, auf der er den ganzen Tag sitzt, tagelang, wochenlang, nur mit kurzen Unterbrechungen, um im Elternhaus zu schlafen und zu essen.
Und plötzlich ist er nicht mehr allein auf seiner Parkbank. Ein etwas älterer Herr, ein Salaryman, so bezeichnet man in Japan männliche Firmenangestellte, der tagein tagaus in gleichbleibender Ruhe seine Zeitung liest, sein Bentō auspackt und isst und sogar auf der Bank schläft, wird sein täglicher Begleiter.
Die Lüge
Der Salaryman erzählt von seiner Ehe, seiner liebevollen Frau, seinem behinderten Kind, das er nie angenommen hatte und das früh starb. Von der Isolation, in die sich das Ehepaar zurückzog, um den Schmerz auszuhalten. Und davon, dass er seinen Arbeitsplatz verloren habe und seiner Frau nichts davon erzählt hätte.
Was ich sagen möchte. Die Lüge hat ihren Preis. Einmal gelogen, findet man sich in einem anderen Raum. Man lebt unter einem Dach, hält sich in denselben Zimmern auf, schläft im selben Bett, wälzt sich unter einer Decke. Die Lüge aber frisst sich mitten hindurch. Sie ist ein Graben. Unüberbrückbar. Sie macht, dass ein Haus in zwei Teile zerfällt. Und wer weiß, ob es sich mit der Wahrheit nicht ebenso verhält?
Kleines Fazit für großartigen Text
Zwei Aussenseiter finden sich im Roman. Erzählen sich ihre Lebensgeschichte, die für den Einen ein endgültiger Abschied wird, für den Anderen ein Anfang.
Einmal mit dem Buch begonnen, dem wird es schwer fallen, es zwischendurch abzulegen, um Alltägliches zu erledigen. Am Besten ist es, sich für die 136 Seiten einen Zeitpunkt auszusuchen, der es einem ermöglicht, diese poetische Sozialstudie in einem Rutsch durchzulesen.
jbs 2ooozwölf
Lesung Milena Michiko Flasar "Ich nannte ihn Krawatte"
(Wagenbach Verlag), Literaturhaus Salzburg, Mai 2012
Veranstalter: Verein Literaturhaus
https://www.youtube.com/watch?v=wGqj3Ucs4mc
Die kursiv gehaltenen Textstellen sind Zitate aus dem obigen Buch.
lou-salome - 4. Nov, 18:42